Die Maillard-Reaktion für Nicht-Chemiker
Kennst du diesen Rösterwitz?
“Während der Maillard-Reaktion bitte nicht mit dem Röster sprechen”
Da praktisch immer die Maillard-Reaktion stattfindet, heißt er soviel wie: Sprich mich nicht an, egal wann.
Kaum eine chemische Reaktion erfährt so viel Aufmerksamkeit in der Kaffee-Welt wie die Maillard-Reaktion.
Dieser Artikel ist für dich, wenn du wissen willst:
Welche beiden Arten von Bräunungsreaktionen es für Lebensmittel gibt
Welche beiden nicht-enzymatischen Reaktionen für uns im Kaffee-Bereich besonders wichtig sind und wie sie funktionieren
Warum sie für uns so wichtig sind
Der Artikel könnte nach diesem Absatz enden. Zwei wichtige Fragen blieben dann allerdings offen
Lebensmittel werden auf zwei Arten braun: Zum einen durch die enzymatische Bräunungsreaktion und zum anderen durch die nicht-enzymatische Bräunungsreaktion.
Nehmen wir einmal einen angeschnittenen Apfel oder eine Banane. Sie werden durch die enzymatische Bräunungsreaktion braun. In der sogenannten Polyphenol Oxidase reagieren Enzyme mit Luft und verwandeln unsichtbares Phenol in braune Bestandteile, die wir dann an der Schnittstelle sehen. Diese braunen Bestanteile sind Polymere und giftig für Bakterien. Voilá, der Apfel und die Banane bilden damit eine Schutzschicht gegenüber Eindringlingen. Es ist also ein Akt der Selbstverteidigung.
Unser Kaffee dagegen erhält seine braune Farbe durch die andere, die nicht-enzymatische Bräunungsreaktion. Sie lässt sich in drei Typen unterteilen: Zum einen in die Maillard-Reaktion, zum anderen in die Karamellisation und zum dritten in die Ascorbinsäure Oxidation.
Während der Maillard-Reaktion reagieren reduzierte Zucker und verfügbare Aminosäuren unter der Einwirkung von Temperatur. Die Karamellisation beschreibt den Vorgang in dem Zuckerarten oxidieren oder unter dem Einfluss von Temperatur zerfallen. Die Ascorbinsäure Oxidation ist noch am nächsten an der enzymatischen Bräunungsreaktion dran, wenngleich sie andere Enzyme benötigt, wie zum Beispiel Peroxidase.
Der Artikel könnte hier enden, denn jetzt wissen wir ja, welche Reaktion den Kaffee braun macht und welche anderen Typen der nicht-enzymatischen Bräunungsreaktionen es noch gibt.
Doch wir würden zwei wichtige Fragen unbeachtet liegen lassen, nämlich:
Was geschieht während der Maillard-Reaktion, welche Faktoren beeinflussen sie und was ist der Unterschied zur Karamellisation?
Und: Warum ist dieser Vorgang so wichtig für die Kaffee-Welt?
Bevor wir auf das „Warum“ und den Stellenwert der Maillard-Reaktion für die Kaffee-Welt kommen, sehen wir uns die einzelnen Phasen der Maillard-Reaktion an, sowie einige Faktoren, die sie beeinflussen. Plus: Worin besteht der Unterschied zur Karamellisation genau?
Auch um die grafische Darstellung der Maillard-Reaktion hat sich Herr Hodge Gedanken gemacht.
Sie zeigt vereinfacht, welche Reaktionen ungefähr zu welchem Zeitpunkt in der Maillard-Reaktion ablaufen, welche Spaltprodukte sie bilden und welche Bestandteile (eher einfache Zucker oder eher Amino-Bestandteile) reagieren.
Quelle Grafik: Siehe unten in den Literaturangaben Nummer 2.
Die 3 Phasen der Maillard-Reaktion (für Nicht-Chemiker einfach erklärt)
Der afrikanisch-amerikanische Chemiker John E. Hodge unterteilte 1953 die Maillard-Reaktion in drei Phasen. Diese haben an sich keinen besonders charakteristischen Namen und dienen bis heute als grobe Unterteilung dieser hochkomplexen Bräunungsreaktion (Anmerkung: Solltest du Chemiker sein und hast eine andere Information, dann melde dich freundlicherweise bei mir.)
Sehen wir uns die drei Phasen der Maillard-Reaktion nach Hodge etwas genauer an.
In der ersten Phase laufen zwei Reaktionen ab:
Zum einen reagieren reduzierte Zuckermoleküle und Moleküle der Aminosäure zu Kondenswasser und zu instabilen Glycosylaminen, das sind Aminozucker oder auch Einfachzucker.
Ebenfalls in der ersten Phase kommt es zur Amadori-Umlagerung (Aldosen), benannt nach seinem italienischen Entdecker Mario Amadori, oder zur Heynes-Umlagerung (Ketone), benannt nach dem deutschen Chemiker Kurt Heynes. Welche der beiden Umlagerungen stattfindet hängt von der chemischen Gruppe der Zucker ab, also ob es sich dabei um Ketone oder Aldosen handelt.
Die Umlagerung führt dazu, dass die Zuckermoleküle in ihrer Zusammensetzung stabiler werden. In dieser ersten Phase sind die entstehenden Produkte alle farblos.
Daneben geschehen noch viele andere Reaktionen, und zur Amadori-Umlagerung gibt es gut dokumentierte Forschung. Für unsere Zwecke wollen wir es mit diesem Wissen vorerst belassen.
Kommen wir zur zweiten Phase:
Phase zwei umfasst drei Reaktionen: Die Zucker-Entwässerung („Sugar dehydration“) sowie die Zucker-Zerteilung („Sugar fragmentation“) und den Strecker-Abbau.
Wir sehen, es geht wieder um Zuckermoleküle und deren Umbau. Während der Zucker-Entwässerung werden den Zuckermolekülen unterschiedlich viele Wassermoleküle entzogen. Das hängt davon ab, ob sich die Reaktion in einem saurem Umfeld oder in einem neutralen oder basischen Umfeld abspielt. In einem sauren Umfeld kommt es zur Bildung von Furfural und Hydroxymethylfurfural.
Beide Komponenten tragen nicht ursächlich zur braunen Farbe, den Melanoidinen, im Kaffee bei. Sie entstehen eher nebenbei. Nutzlos sind diese Komponenten jedoch nicht: Es gibt Hinweise, dass sie zur Reifung von Lebensmitteln beitragen und zwar vor allem in den ersten acht Wochen ihrer Entstehung.
In einem neutralen oder basischen Umfeld entstehen vorrangig Reduktone. Auch hier verlieren Zuckermoleküle Wasser, jedoch nicht so viele wie bei der Bildung von Furfural. Wie auch Furfural tragen Reduktone zum Verlust von Geruch und Geschmack von Lebensmitteln bei Lagerung bei. Positiv anzumerken ist ihre antioxidative Wirkung und – wie auch bei Furfural – ihr Beitrag zur Bräunung von Lebensmitteln.
Bei der Maillard-Reaktion finden viele katalysierende Reaktionen statt. Eine davon ist die Retro-Aldolreaktion oder umgekehrte Aldolreaktion. Hier sind wir wirklich tief in der organischen Chemie. Für uns ist wichtig zu wissen, dass dabei Spaltprodukte aus Zuckern entstehen.
Doch nicht nur Zuckermoleküle verändern sich, auch die Aminosäuren erfahren einen Umbau. Und dieser findet während des Strecker-Abbaus statt, benannt nach seinem Entdecker Adolph Strecker (1822-1871). Dieser Vorgang ist für uns im Kaffeebereich wichtig, denn hier entstehen Spaltprodukte, die zur Aromatik unseres Kaffees beitragen.
Die entstehenden Aldehyd-Verbindungen tragen vor allem zur Komplexität der Aromen von Lebensmitteln bei (Pyrazine, Pyridine, Furan etc).
In dieser zweiten Phase sind die entstehenden Produkte farblos bis gelblich oder leicht bräunlich.
Phase drei umfasst zwei Reaktionen
Die Aldol-Kondensation und die Aldehyd-Amino-Kondensation. Am Ende dieser und aller vorangegangenen Reaktionen entstehen die Melanoidine.
Wir haben es also fast geschafft uns durch die Phasen der Maillard-Reaktion zu lesen.
Die Melanoidine entstehen nun unter anderem durch Aldehyde, die wir aus dem Strecker-Abbau kennen und die in Phase zwei entstehen durch die sogenannte Aldol-Kondensation und die Aldehyd-Amino-Kondensation. Melanoidine sind schwere Eiweiß-Bausteine und bis heute ist eine Identifikation aller dieser Elemente, die diese Melanoidin-Verbindungen bilden, nicht möglich.
Hodge notierte zu dieser Phase: Die Produkte dieser Phase sind bräunlich.
Fassen wir zusammen
So, geschafft! Schwer war es nicht, wenngleich für Nicht-Chemiker eventuell etwas trocken.
Fassen wir grob zusammen, was wir jetzt von der Maillard-Reaktion wissen:
- Sie ist ein Ablauf chemischer Reaktionen, die nacheinander und auch nebeneinander stattfinden.
- Sie ist vor allem eine Reaktion aus einfachen Kohlenhydraten („Zucker“) und Eiweißen („Aminosäuren“).
- Sie produziert im Ergebnis Melanoidine sowie viele andere aromatisch-wirksame Produkte.
- Sie ist sehr komplex.
- Sie hat einen großen Einfluss auf den Aufbau und den Abbau von Aromatik in Lebensmitteln.
- Sie benötigt keine Enzyme für ihren Ablauf, daher erfolgt die Einordnung als nicht-enzymatische Bräunungsreaktion.
Diese Faktoren beeinflussen die Maillard-Reaktion
Unsere Krux als Kaffeeröster: Jede Maillard-Reaktion verläuft ein bißchen anders. Viele verschiedene Faktoren beeinflussen ihren Verlauf. Sehen wir uns an, welche das sein können und welche wir steuern können:
- Die Feuchtigkeit im Rohkaffee und die Wasseraktivität: Die Menge des Wassers und seine Aktivität haben einen großen Einfluss auf die Maillard-Reaktion. Es gibt Hinweise, dass eine hohe Wasseraktivität hinderlich ist für die Reaktion von einfachen Zuckern und Aminosäuren.
- Der ph-Wert: Wir haben in den einzelnen Reaktionen in der zweiten Phase schon gesehen, dass die Maillard-Reaktion unterschiedliche Spaltprodukte erzeugt, je nachdem, ob sie in einem überwiegend sauren oder eher alkalischen Bereich stattfindet.
- Die Temperatur: Eine Maillard-Reaktion findet schon bei niedrigen Temperaturen statt, jedoch nimmt sie richtig Fahrt auf, je höher die Temperatur ansteigt. Es gibt Hinweise, dass sich die Prozesse und Produkte in der Maillard-Reaktion mit jedem Anstieg der Temperatur um 10 Grad verdoppeln.
Die Feuchtigkeit und die Wasseraktivität im Rohkaffee können wir beurteilen und unsere Röstung anpassen. Doch genau genommen liegen diese Faktoren außerhalb unserer Reichweite, denn direkten Einfluss in erster Linie nehmen die Produzenten im Anbauland. Unsere Aufgabe in der Rösterei beschränkt sich auf eine gute Lagerung.
Definitiv in unserem Wirkungsbereich liegt die Steuerung der Temperatur, oder besser gesagt, der Energie.
Und dann gibt es da noch die….Karamellisation
Verglichen mit der Maillard-Reaktion, geht es schnell, diese zu erklären:
Bei hohen Temperaturen ab 160 Grad Celsius beginnt Zucker zu schmelzen oder in seine Einzelteile zu zerfallen. Im weiteren Verlauf steigender Hitze, lösen sich zudem Wassermoleküle und Bestandteile des Zuckers bilden sich um. Es entstehen karamellartige, bräunliche Bestandteile, die ein ebensolches Aroma mitbringen (allerdings ohne den cremigen und süßen Geschmack von echtem Karamell mit Sahne).
Die Karamellisation trägt also zu Farbe und Aroma in unserem Kaffee bei. Doch etwas anderes entsteht ebenfalls: Kohlenstoffdioxid (CO2). Und sicherlich kennen wir alle (zumindest vom Hörensagen) das Ereignis beim Rösten, wenn der Druck des Kohlenstoffdioxids in der Bohne zu groß wird und mit einem Knacken entweicht: Genau, das ist der Second Crack.
Zusammenfassend halten wir fest, dass die Karamellisation
- Bei hohen Temperaturen ab 160 Grad Celsius beginnt.
- Ebenfalls eine nicht-enzymatische Bräunungsreaktion ist.
- Die Nebenprodukte Farbe, Aroma und Kohlenstoffdioxid entstehen lässt.
Überblick über Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Gönnen wir uns kurz einen Überblick über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Maillard-Reaktion und der Karamellisation.
Gemeinsam ist beiden Reaktionen, dass sie Aromen und die charakteristische Farbe des Kaffees produzieren.
Sie unterscheiden sich darin, dass sie zu unterschiedlichen Temperaturen stattfinden: Während die Maillard-Reaktion schon bei Raumtemperatur wirkt (wenn auch sehr sehr langsam), benötigt die Karamellisation Temperaturen jenseits der 150 Grad Celsius.
Ebenfalls unterscheiden sie sich darin, welche Stoffe sie zur Reaktion verwenden: Die Maillard-Reaktion geschieht auf Basis von einfachen Zuckern und Aminosäuren. Die Karamellisation basiert nur auf einfachen Zuckern.
Warum sollten uns diese Reaktionen interessieren?
Nachdem wir nun wissen, dass es enzymatische und nicht-enzymatische Bräunungsreaktionen bei Lebensmitteln gibt, und dass zu den nicht-enzymatischen Reaktionen die Maillard-Reaktion und die Karamellisation zählen, kommen wir zu einem sehr spannenden Punkt: Wozu befassen wir uns damit und warum sollte uns das wirklich interessieren, wenn wir Kaffeeröster sind?
Die Antwort lässt sich in drei Kategorien unterteilen (vielleicht ergeben sich weitere, dann aktualisiere ich diesen Abschnitt):
- Gesundheit und Sicherheit von Nahrungsmitteln
- Aromatik und Sensorik
- Effekte der Lagerung
Gesundheit und Sicherheit von Nahrungsmitteln
Spaltprodukte, die während des Kaffeeröstens entstehen, sind Acrylamid und Furan. Beide sind der Gesundheit nicht zuträglich. Furan ist allerdings flüchtig und es gibt Hinweise, dass es bei der Zubereitung einfach verfliegt und nicht in die Tasse gelangt. Andererseits entstehen auch gute Stoffe, die eine antioxidative Wirkung auf den Körper haben. Alle Bitterstoffe gehören zum Beispiel dazu. Betrachten wir nur die Maillard-Reaktion, dann ergeben sich sogar weitere Auswirkungen auf den Körper des Menschen, zum Beispiel Reaktionen mit körpereigenen Proteinen und im Zusammenhang mit Diabetes mellitus.
Aromatik und Sensorik
Die Maillard-Reaktion sowie die Karamellisation tragen entscheidend zur Aromatik im Röstkaffee bei. Erst durch die komplexen und katalytischen Reaktionen während des Röstens entstehen unzählige neue, aromatisch wirksame Verbindungen aus Säuren, Zuckern und Aminosäuren. Mittels sensorischer Methoden beurteilen wir die Qualität einer Röstung und finden eventuelle Fremd- oder Fehlaromen. Denken wir nur an das Merkmal „Körper/Mundgefühl“, welches auf das Vorkommen von Melanoidinen zurückzuführen ist. Dadurch können wir Rückschlüsse ziehen, an welchem Punkt des Röstprozesses wir eingreifen können, um unser gewünschtes Geschmacksprofil zu erhalten.
Effekte der Lagerung
Nebenprodukte der Maillard-Reaktion führen dazu, dass Lebensmittel schneller an Aromen und Geschmack verlieren. Im Kaffee-Bereich kommt uns dieser Effekt oft als „Staling“ bezeichneter Vorgang entgegen und bezeichnet eine schale, flache, abgestandene Aromatik. Das Argument der Frische von Röstkaffee ist hier betroffen und zu wissen, wann wir im Röstprozess eingreifen können, kann das von Vorteil sein.
Fazit
Die Entdeckung von Louis Camille Maillard 1912 und die systematische Aufarbeitung von John E. Hodge 1953 haben weitreichende Auswirkungen auf die Lebensmittelindustrie bis heute. Die Forschung rund um die Maillard-Reaktion erhalten neuen Auftrieb durch die Auswirkungen auf den Alterungsprozess im menschlichen Körper.
Auch wenn wir die detaillierten chemischen Abläufe dieser komplexen Reaktion nicht durchdringen müssen (das überlassen wir den Doktoranden der Chemie und freuen uns über die Ergebnisse), muss uns die Bedeutung für die Kaffee-Welt klar sein.
Denn die Nebenprodukte und Ergebnisse dieser nicht-enzymatischen Reaktionen, Maillard und Karamellisation, wirken positiv, zum Beispiel aromatisch und antioxidativ, und negativ, zum Beispiel durch Acrymamide und Furan.
Als Kaffeeröster können wir unsere Röstungen beeinflussen, um ein sicheres und aromatisch erfreuliches Produkt herzustellen.
Quellen
Liedke, Ralph. 1999. Bildung von α-Dicarbonylverbindungen beim Abbau von Amadori- Umlagerungsprodukten. Dissertation.Zuletzt abgerufen am: 21. Januar 2021
Nurstein, Harry. 2005. The Maillard reaction. Zuletzt abgerufen am: 21. Januar 2021
Rivera, Joseph A.2008. The science of browning reactions. In: The book of roast, S. 161 ff.